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Der Rabe
E.A.Poe (1845) |
Als um Mitternacht ermüdet ich das düstre Haus gehütet über manchem Buch voll Weisheit, alter, fast vergess'ner Lehr, Als ich schon mehr schlief als wachte, war mir, eh' ich's noch bedachte, so, als klopfte jemand sachte, sachte an die Zimmertür. "Irgend ein Besucher", murrt ich, "klopft an meine Zimmertür, Das wird's sein, nichts weiter mehr." Ach, im Flammenschein der roten Kohlen tanzten Unglücksboten
Aus dem kalten Land der Toten, im Dezember, öd und leer. Und wie ungeduldig
sehnte ich mich nach dem Tag, als fände Mit ihm meine Qual ein Ende
um Lenor, die weit von hier, Um Lenor, das Mädchen, das nun Engel
preisen, weit von hier.
Schreckensbilder ließ mich sehen eines Purpurvorhangs Wehen,
Es umhüllte und erfüllte mich mit Furcht wie keiner je vorher.
Und um meines Herzens Schläge abzuschwächen, sprach ich träge:
"Nur ein Fremder, der vom Wege abkam, steht an meiner Tür, Nur ein
später Gast sucht dringend Einlaß hier an meiner Tür.
Und sogleich verging mein Zagen, und ich hört' mich plötzlich sagen: "Wer's auch sei, Herr oder Dame, um Vergebung bitt' ich sehr, Denn Ihr Klopfen war so sachte, daß ich kaum davon erwachte Und an alles andre dachte als daran, daß an die Tür Ein Besucher klopfen könnte. Und ich öffnete die Tür: Dunkel dort, nichts weiter mehr. Und in dieses Dunkel spähend, stand ich, angstvoll um mich sehend,
Zweifelnd, Träume träumend, wie sie noch kein Mensch geträumt
bisher. Ungebrochen war das Schweigen, und die Stille gab kein Zeichen,
Nur ein Wort ließ mich erbleichen, das geflüstert drang zu mir,
Dieses Wort Lenorì, das selber ich gesprochen, raunte mir
Als ich mich ins Zimmer wandte und in mir die Seele brannte, Hörte
ich erneut das Pochen, etwas lauter als vorher. "Sicher, sagt ich qualbeladen,
etwas mit dem Fensterladen, Will doch seh'n, ob ohne Schaden das Geheimnis
ich mir klär', Schweig, mein Herz, daß ohne Schaden das Geheimnis
ich mir klär'"
Auf warf ich den Fensterladen; flatternd und mit Flügelschlagen Trat ein Rabe ein, als ob er aus den Tagen Noahs wär. Und nicht einen Diener macht' er, nicht an eine Pause dacht' er, Stolz setzt' er sich wie ein Pachtherr über meine Zimmertür. Setzt' sich auf die Pallas-Büste über meiner Zimmertür. Saß dort und nichts weiter mehr. Doch das schwarze Tier verführte, weil es sich so eitel zierte,
Meine Kümmernis zum Lächeln, und ich sagte ungefähr: "Ist
dein Helmbusch auch geschoren, scheinst du doch als Held geboren, Von der
Düsternis erkoren, flogst Du weit vom Nachtland her, Sag, welch ist
dein edler Name von des Pluto Nachtland her?"
Und mein Staunen war unendlich, denn das Tier, es sprach verständlich, Schien die Antwort auch ein wenig dunkel und etwas verquer; Denn wir müssen eingestehen, daß kein Lebender gesehen Je solchen Vogel spähen oben von der Zimmertür, Einen Vogel von der Büste über seiner Zimmertür, Der sich nannte "Nimmermehr". Doch der Rabe, wie erhoben auf der Büste sitzend oben, Sprach
aus tiefster Seele dieses eine Wort bedeutungsschwer. Und kein andres gab
er von sich, seine Federn unbeweglich, Da, kaum hörbar, sprach ich
kläglich: "Gleich den andern wird auch er Mich verlassen, so wie meine
Hoffnung schwindet, geht auch er."
Als das Schweigen war gebrochen, weil so trefflich er gesprochen, Sagte ich zu mir erschrocken: "Zweifellos, dies Wort ist der Letzte Rest, der ihm geblieben von dem Herrn, der's einzuüben Niemals müde ward, getrieben von des Unglücks Wiederkehr, Der all seine Grabgesänge schloß in steter Wiederkehr Mit dem "Niemals-Nimmermehr". Doch der Vogel führte weiter aus der Trauer mich, fast heiter
Rollte ich mir einen Sessel stracks zur Tür, dorthin, wo er Hockte,
und ich ließ mich nieder und vertraut mich dem Gebieter Phantasie
an, um darüber nachzudenken, was das Tier, Was das schwarze ungeschickte,
uralt-ominöse Tier
Dieses zu erraten saß ich, doch mit keiner Silbe maß
ich Diesen Vogel, dessen Augen mich durchdrangen wie ein Speer; Dies und
mehr noch wollt' ich wissen, dabei lehnt' ich mich auf's Kissen, Dessen
Samt im ungewissen Schein der Lampe glänzte schwer, Aber, ach, den
violetten Samt im Schein der Lampe schwer
Dann, so schien es mir, als schwenkte jemand Weihrauch, dabei lenkte
Klingelnd ein Seraph die Schritte durch das Zimmer kreuz und quer. "Ärmster",
rief ich, "dein Gott sendet einen Engel dir und spendet Linderung, und
er beendet um Lenor die Qualen schwer, Trink dies gütige Nephentes
und vergiß die Qualen schwer!"
Und ich sprach: "Prophet des Teufels, Kreatur des bösen Zweifels,
Ob ein Sturm dich hierher sandte oder dich der Luzifer Hier in diesem Haus
voll Schrecken hat geheißen, mich zu wecken, Um sein Urteil zu vollstrecken
- ich beschwör dich, sag es mir, Wird man mich in Gilead trösten,
ich beschwr dich, sag es mir!"
"Ob du Vogel oder Teufel", sagte ich, "nimm mir die Zweifel, Bei dem Himmel, der sich über uns erhebt, bei Gottes Ehr', Sag der Seele, ob zu Eden sie dereinst noch wird genesen, Wenn ich küß' das keusche Wesen, ob Lenor mir wiederkehr - Daß das wunderbare Wesen, daß Lenor mir wiederkehr!" Sprach der Rabe: "Nimmermehr." "Vogel, Teufel!", schrie ich bleichen Angesichts, "dies Wort als
Zeichen Unsrer Trennung! Scher dich wieder in die Nacht, flieh übers
Meer! Laß als Lügenzeugnis keine Feder hier! Stör mir nicht
meine Einsamkeit! Und nie erscheine wieder über meiner Tür!"
Aus dem Herz mir nimm den Schnabel und entfern' dich von der Tür!"
Und der Rabe, unbeweglich, sitzt noch täglich, sitzt alltäglich
Auf der bleichen Pallas-Büste über meiner Zimmertür; Und
in seinen Augen wohnen alle Träume von Dämonen, Seinen Schatten
wie geronnen wirft die Lampe schwarz und schwer Auf den Boden; doch erheben
wird sich aus dem Schatten schwer
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